Ewiges Widerrufsrecht bei Versicherungsverträgen mit „echten“ Ratenzahlungszuschlägen ohne Stornorisiko

von RA Stephan Michaelis LL.M., Fachanwalt für Versicherungsrecht
Gutachten hierzu unter: www.kanzlei-michaelis.de

1.)    Einleitung

Derzeit sorgt das Urteil des Bundesgerichtshof vom 29.07.2009 (AZ: I ZR 22/07) in der Versicherungsbranche für Furore. Was war passiert? Ein Verbraucherverband hatte geklagt festzustellen, dass der Versicherer verpflichtet sei, im Fall der Eröffnung von unterjährigen Prämienzahlungen gegen einen Ratenzahlungsaufschlag den Versicherungsnehmer auf den Effektivzins hinzuweisen und dem entgegenstehende Klauseln unwirksam seien. Nach der Argumentation des Verbraucherverbandes stellt die Eröffnung einer unterjährigen Zahlungsweise einen Darlehensvertrag dar und die entsprechenden rechtlichen Verpflichtungen eines Versicherers ergeben sich eindeutig aus § 492 BGB. Hiergegen wandte sich der Versicherer mit der Begründung, dass bei der Eröffnung einer unterjährigen Zahlungsweise nicht der Darlehenscharakter entscheidend ist, sondern der Rabattgedanke im Vordergrund steht.

Nachdem zunächst das LG Bamberg (Az.: 2 O 764/04) dem Kläger Recht gab und dann die gegen das Urteil eingelegte Berufung des Versicherers vor dem OLG Bamberg (Az.: 3 U 35/06) Erfolg hatte, erkannte der Versicherer vor dem BGH den Unterlassungsanspruch des Klägers an und vermied dadurch eine Entscheidung und Begründung des BGH in der Sache selbst. Damit wurde die Entscheidung des LG Bamberg – nach Erörterung der rechtlichen Hinweise des BGH - rechtskräftig. Fraglich ist, welche rechtlichen Folgen und konkrete Ansprüche sich hieraus nun für andere Versicherungsnehmer ergeben.

2.)    Rechtliche Bewertung

Aufgrund des Anerkenntnisurteils des Versicherers spricht vieles dafür, dass die Entscheidung des LG Bamberg auch von dem BGH getragen worden wäre. Fraglich ist alsdann, auf welche Versicherungsverträge die zugrunde liegenden Rechtsgedanken entsprechend anwendbar sind und welche Rechtsfolgen bzw. mögliche Ansprüche des Versicherungsnehmers sich hieraus ergeben.  

a.)    Welche Verträge sind betroffen?

Das Urteil des BGH findet nur Anwendung auf Versicherungsverträge mit einem Verbraucher im Sinne des § 13 BGB. Der Versicherungsvertrag darf also nicht der selbständigen gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit des Versicherungsnehmers zugerechnet werden. Ferner ist das Urteil gemäß § 491 Abs.2 Nr.1 BGB nicht auf Versicherungsverträge anwendbar, bei welchen die Jahresprämie einen Betrag von 200,00 € nicht übersteigt.

Es kommen sämtliche Personen- und Sachversicherungen in Betracht. Entscheidend ist stets die konkret vereinbarte Klausel der Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Diese unterscheiden sich von Versicherer zu Versicherer und von Produkt zu Produkt, weshalb eine generelle Bewertung nur schwer möglich ist. Das BGH Urteil dürfte lediglich auf solche Versicherungsverträge übertragbar sein, bei denen der Versicherungsnehmer grundsätzlich verpflichtet ist, die Prämie jährlich zu zahlen und er gegen Zahlung eines Aufschlages die Prämie in monatlichen Rate zahlen darf. Im Gegenzug scheidet eine Übertragung des Urteils auf Versicherungsverträge aus, bei welchen der Versicherungsnehmer grundsätzlich eine Monatsprämie zu zahlen hat. Da letzteres in der private Krankenversicherung i.d.R. der Fall ist, dürfte eine Übertragung des BGH Urteils auf den Bereich der privaten Krankenversicherung in der Regel ausscheiden.

Es bleibt mithin festzuhalten, dass für die Beantwortung der Frage, ob das BGH Urteil auf einen bestimmten Versicherungsvertrag übertragbar ist, stets eine konkrete Prüfung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen erforderlich ist.

b.)    Welche Ansprüche hat der VN?

Sofern die konkrete Prüfung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu dem Ergebnis führt, dass das Urteil des BGH auf den Versicherungsvertrag, wie zuvor dargelegt, Anwendung findet, so können sich weitreichende rechtliche Folgen zu Gunsten des Versicherungsnehmers ergeben. Es gelten für den Versicherungsvertrag im Folgenden die Bestimmungen des BGB zum Verbraucherkreditvertrage nach §§ 491 ff. BGB.

Zunächst enthalten die Allgemeinen Versicherungsbedingungen keine Angaben zum Effektivzins. Gemäß § 494 Abs.2 BGB führt dies dazu, dass die Ratenzahlungsvereinbarung mit der Maßgabe bestehen bleibt, dass für den Vertrag der gesetzliche Zinssatz gemäß § 246 BGB von 4% gilt. Dieser gilt nicht nur für die zukünftige Vertragslaufzeit, sondern kann vom Versicherungsnehmer rückwirkend für die gesamte Vertragslaufzeit eingefordert werden. Der Versicherungsnehmer hat mithin einen Anspruch auf Neuberechnung der monatlichen Beiträge und einer Gutschrift von in der Vergangenheit zuviel gezahlten Prämien. Die Zinslast und mithin auch die monatliche Prämie verringern sich für den Versicherungsnehmer somit entsprechend.

Sofern der Versicherungsnehmer überhaupt nicht mehr am Versicherungsvertrag festhalten will, so steht ihm gemäß §§ 495, 355 BGB ein Widerrufsrecht zu. Die Widerrufsfrist beträgt dabei zwei Wochen und beginnt erst mit der rechtswirksamen Belehrung des Versicherungsnehmers über sein Widerrufsrecht. Dabei kann die Belehrung nach § 355 BGB nicht durch die Widerrufsbelehrung nach dem VVG ersetzt werden, da beide Fristen grundsätzlich unterschiedlich berechnet werden. So beginnt die Widerrufsfrist nach dem VVG frühestens mit Zusendung des Versicherungsscheins. Es ist also eine gesonderte Belehrung des Versicherungsnehmers erforderlich. Diese ist bislang nicht erfolgt und es ist auch nicht zu erwarten, dass einzelne Versicherer nachträglich flächendeckend ihre Versicherungsnehmer über das bestehende Widerrufsrecht belehren werden. Folglich steht dem Versicherungsnehmer in diesem Fall ein dauerhaftes Widerrufsrecht zu. Er kann daher grundsätzlich die Rückabwicklung des Versicherungsvertrages und Rückzahlung der geleisteten Prämien verlangen.

3.)    Ergebnis

Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass eine Vielzahl von betroffenen Versicherungsnehmern ein Widerrufsrecht nach §§ 495, 355 BGB zusteht. Welche Versicherungsverträge hiervon genau betroffen sind, bedarf jedoch der rechtlichen Prüfung des Einzelfalles. Ferner ist bei der Geltendmachung von Ansprüchen auf Seiten des Versicherungsnehmers zu bedenken, dass der BGH letztendlich in der Sache selbst nicht entschieden hat, sondern es lediglich zu einem Anerkenntnisurteil gekommen ist. Dabei ist davon auszugehen, dass der Versicherer im Anbetracht der für ihn negativen drohenden Entscheidung anerkannt hat, um ein rechtskräftiges Sachurteil des BGH hierzu zu vermeiden. Dem Anerkenntnisurteil kommt daher lediglich eine „Indizwirkung“ zu. Dem Versicherungsnehmer bleibt daher nichts anderes übrig, als anhand der vom LG Bamberg aufgestellten Grundsätze zu argumentieren. Dabei erscheint es jedoch sehr fraglich, ob einzelne Versicherer bereit sein werden, bereits auf dieser Grundlage ihre Prämien anzupassen bzw. einer Rückabwicklung des Vertrages zuzustimmen. Es steht daher zu befürchten, dass der einzelne Versicherungsnehmer nur mit anwaltlicher Hilfe - notfalls vor Gericht – zur Zeit zu ihrem Recht kommen werden.

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